Das Polemische, das Kriegerische auf höchstem ästhetischem Niveau – das machte die einstige, einzigartige Wirkung von Karl Kraus aus. Heute kann man den Krieger in aller Ruhe zitieren: Der Philosoph Franz Schuh nimmt sich heraus, vom Leser zum Vorleser zu werden – er liest Texte von Kraus, für Kraus und gegen Kraus. Sichtbar wir dabei Kraus als Name eines Komplexes, durchaus auch im psychopathologischen Sinne eines „überwertigen Gefühlsinhalts“: Die problematische Spannung unter der die Kraus-Rezeption steht, kann man übrigens einem Aphorismus Walter Benjamins entnehmen: „Nichts trostloser als seine Adepten, nichts gottverlassener als seine Gegner.“
Franz Schuh ist Philosoph, Schriftsteller und Kolumnist, zuletzt erschienen: Ein Mann ohne Beschwerden (Hanser 2023). Die Lesung wird von der koreanisch-österreichischen Konzertpianistin Suyang Kim begleitet.
In Kooperation mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv.
Charlotte Joël (1887-1943) eröffnete 1913 mit ihrer Freundin Marie Heinzelmann in Berlin-Charlottenburg ein Fotostudio, in dem sie neben Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich oder Walter Benjamin im Frühjahr 1921 auch Karl Kraus porträtiert hat (von ihr selbst existiert übrigens kein einziges Porträt). Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erfuhr sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten berufliche Nachteile, entschied sich aber gegen eine Emigration und sicherte sich mit der Produktion von Kinderporträts ihre Existenz. 1943 wurde Charlotte Joël deportiert und in Auschwitz ermordet. Die Ausstellung zeigt Originale und Reproduktionen der Exponate aus dem Bestand sowie Materialien, die Friedrich Pfäfflin zur Dokumentation von Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Fotografin in langjähriger Arbeit gesammelt hat.
Die Ausstellung ist von 24.9.-31.12.2024 vor und nach den Veranstaltungen sowie nach Vereinbarung zugänglich.
Im Anschluss an die Vernissage findet die Lesung Von für und gegen Kraus statt.
Die Schriftstellerin, Musikerin und Textperformerin Melinda Nadj Abonji und der Spoken Word-Künstler und Sänger Jurczok 1001 verbinden Literatur und Musik auf einzigartige Weise. Aus kurzen, lyrischen Erzählungen, Spoken Word-Texten, elektrischer Geige, Gesang, Human Beatbox und filigranen Stimmen-Loops erschaffen die beiden eine eigene Bühnensprache. Ihre genreübergreifende Zusammenarbeit ist einmalig in der deutschsprachigen Literatur. Ihr Mut zur Innovation wurde mit Einladungen an zahlreiche internationale Literaturfestivals und Sprechbühnen in Berlin, New York oder Sofia belohnt.
Jurczok 1001 tritt seit 1996 unter dem Namen Jurczok 1001 auf. Er gehört zu den Spoken Word-Pionieren der Schweiz.
Melinda Nadj Abonji ist eine ungarisch-schweizerische Schriftstellerin, Musikerin und Kunstdarbieterin.
Theater einmal anders: Willkürlich in einem Theaterseminar zusammengewürfelte Student:innen aus Tirol und Umgebung haben sich der Texte Otto Grünmandls an- und diese ausein-andergenommen. Das Ergebnis ist eine szenische Lesung, die dem Meister des höheren Blödsinns neues Leben einhaucht, ihn gleichsam aus nächster Nähe betrachtet und mit ironischem Blick mustert. Gefragt wird dabei immer wieder nach dem Wesen der Komödie, nach dem Sinn des Unsinns und der Macht des Lachens: Otto Grünmandls sprachliche Meisterschaft wird hier ebenso sichtbar wie die Tatsache, dass wir die Komödie mehr denn je brauchen.
Unter der Regie der Studierenden der Germanistik lesen die beiden Schauspieler:innen des Tiroler Landestheaters Kristoffer Nowak und Petra Alexandra Pippan.
Großes Spiel (Zsolnay 2023) verhandelt die Taishô-Epoche (1912–1926), in der Aufmüpfige aller Art in Japan für eine Liberalisierung der Gesellschaft kämpften, während der Staat Tradition und Hierarchie mit radikaler Autorität verteidigte. 1923 sorgte schließlich das große Kantô-Erdbeben für die entscheidende Wende in einem historischen Konflikt, der wie eine Schablone auf unser heutiges Hier und Jetzt passt.
Im Gespräch werden der Autor und Musiker Hans Platzgumer und sein Co-Autor Carl Tokujiro Mirwald die Hintergründe und Aktualitäten des Textes erörtern und kulturelle Unterschiede wie Parallelen zwischen Japan und Europa, damals und jetzt hinterfragen. Ergänzend zur Lesung werden Videos gezeigt und Songs aus dem zum Buch erschienenen Album Platzgumer/Tokujirô: Taishô Romantica live performt.
Moderation: Martin Sexl
Wie werden Geschlechtlichkeit und Geschlechterdifferenzen in Medien und (Kultur-)Institutionen erzeugt und tradiert? Wie kann der jahrtausendealte Konflikt zwischen der Vormachtstellung der Männer (nicht nur, aber auch) im Kunst- und Kulturbetrieb und Frauen als kreativ Schaffenden endlich gelöst werden?
Darüber diskutieren: Norbert Maria Kröll, der sich im Roman Die Kuratorin (Kremayr & Scheriau 2023) literarisch mit dem Thema auseinandergesetzt hat, und Nina Schedlmayer, Kunsthistorikerin und Autorin des feministischen Blogs Artemisia.
In Kooperation mit dem Verein Wissenschaft und Verantwortlichkeit und dem Landesmuseum Ferdinandeum.
Moderation: Maria Piok
Musik: Georg Buxhofer; Regie: Heidelinde Leutgöb; Text: Penny Black
Die Modeschöpferin Emilie Flöge (1874-1952) war nicht nur lebenslange Freundin und Partnerin Gustav Klimts, sondern auch eigenständige Exponentin der Wiener Sezession zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In Geliebte Muse lässt die Schauspielerin Maxi Blaha, die sich mit ihren sensiblen Interpretationen österreichischer Frauen-Ikonen einen Namen gemacht hat, Emilie Flöge wiederauferstehen.
Maxi Blaha, geb. 1972 in Wien, studierte Musik und darstellende Kunst in Wien und Salzburg sowie Gesang in New York. Als Schauspielerin tritt sie auf den großen nationalen und internationalen Bühnen auf; ihre englischsprachigen Solostücke wurden weltweit zu renommierten Festivals eingeladen.
Georg Buxhofer, geb. 1986 in Melk, lebt und arbeitet als Musiker und Fotograf in Wien. Er ist festes Mitglied in mehreren Bands und musikalischer Part in vielen Theaterproduktionen im In- und Ausland.
Eine Kooperation mit dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.
Verschrobene Gestalten bevölkern den Roman Europas Hunde (Voland & Quist 2024): einsame Sucher, fiebrige Träumer, verkrachte Existenzen, geborene Eskapisten. Da ist Maŭčun, der Junge, der davon träumt, mit seiner geliebten Gans gen Westen zu fliegen, bis ihm eine junge Spionin vom Himmel vor die Füße fällt. Der Tote im Berliner Rosengarten, dessen rätselhafte Spuren den Ermittler Teresius Skima durch ein Netzwerk von Buchhandlungen in ganz Europa zu einem abgeschotteten Superstaat führen. Alhierd Bacharevičs großer europäischer Vorabend-Roman erspürte schon 2017, was uns hier erst allmählich zu dämmern beginnt. In Belarus ist der Roman inzwischen verboten.
Thomas Weiler übersetzte den Roman ins Deutsche. Am Abend liest er Auszüge auf Deutsch vor und spricht über die Herausforderungen bei seiner Arbeit an diesem Roman.
Iryna Herasimovich ist Essayistin, Literaturübersetzerin und Doktorandin im SNF-Projekt „Künste und Desinformation“.
Moderation: Iryna Herasimovich
Ihre genuine Neugier auf die Welt und den Menschen macht Ulrike Draesner zu einer hellwachen Beobachterin unserer Zeit. Als polyglotte Grenzgängerin zwischen den Kulturen, Disziplinen und Gattungen versteht sie es, Tabus und Sehnsüchte des 21. Jahrhunderts durch Sprache zu erkunden. Ihr aktueller Roman Die Verwandelten (Penguin Books 2023) ist ein bewegender Mütter-Töchter-Roman, der hundert Jahre europäische Geschichte umfasst und dessen Frauenfiguren verschiedene Erfahrungen von Krieg und Nachkrieg, Flucht und Vertreibung verbindet.
Ulrike Draesner, die als Tochter einer schlesisch-bayerischen Familie in München geboren wurde und seit 2018 das Deutsche Literaturinstitut Leipzig leitet, wird im Gespräch u.a. darüber sprechen, was Frauen im Krieg geschieht, was ihnen die Sprache nimmt und inwiefern Literatur den derart „Verwandelten“ ihre Stimme zurückzugeben vermag.
Moderation: Gabriele Wild
In ihrer aktuellen Publikation Erkenntnis kommt in blauer Stunde (Verlag Der Apfel 2023) spürt Marlen Schachinger der Frage nach, welche Räume uns Sprache im Miteinander eröffnet und weshalb diese Kompetenz eine derart zentrale Stellung in unserem Lebensglück einnimmt. Zwar scheint alle Welt häufiger denn je zu kommunizieren, doch zerfallen diese Sätze in Chat und Pos- tings zu Asche, bevor man sie schmecken kann. Es bedarf einer Kultur des Innehaltens, um die Welt und uns darin endlich wieder wahrzunehmen. Das Publikum wird im Zuge der Veranstaltung eingeladen, die eigene Sprachwahrnehmung gemeinsam mit der Autorin zu befragen.
Marlen Schachinger wurde 1970 im Innviertel geboren. Sie ist freiberufliche Autorin, promovierte Literaturwissenschafterin, zudem als Dozentin für literarisches Schreiben, Regisseurin, Über- setzerin und Verlegerin tätig.
Moderation: Gabriele Wild