In ihrem für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman Lügen über meine Mutter (KiWi, 2022) erzählt Daniela Dröscher vom Aufwachsen in einer Familie, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Und die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag. Daniela Dröscher erzählt zweierlei: Über eine Kindheit im Hunsrück der 1980er, die immer stärker beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Darüber hinaus ist der Roman eine schonungslose Befragung des Geschehens aus heutiger Perspektive.
Daniela Dröscher, geboren 1977, aufgewachsen in Rheinland- Pfalz, lebt in Berlin. Sie schreibt Prosa, Essays und Theatertexte. Sie wurde u.a. mit dem Anna-Seghers-Preis und dem Robert- Gernhardt-Preis (2017) ausgezeichnet. Publikation zuletzt: Zeige deine Klasse: Die Geschichte meiner sozialen Herkunft (Hoffman & Campe, 2018). Seit Herbst 2018 ist sie Ministerin im Ministerium für Mitgefühl.
Präsentation: Gabriele Wild
Nöstlinger beschreibt Abgründe, Gewalt, Missbrauch – unerschrocken, berührend, aber nie ohne Schmäh. Ihre Dialektgedichte fangen über den Klang der Sprache die Seele Wiens ein – eines Wiens weit abseits von Gemütlichkeit und Kitsch, mit Blick auf das Leben der Ausgegrenzten, der Abhängigen, der Frauen am Rand, die trotz des Elends Stärke und Kampfeslust beweisen.
Die Künstlerinnen Sarah Jung, Judith Schwarz und Anna Widauer denken die Geschichten Nöstlingers musikalisch weiter. Sie führen die Gedanken ins Melodiöse und Orchestrale, entwickeln Klangkonzepte, lassen unterschiedliche musikalische Formen zu: Improvisation neben fixierten Songstrukturen und rein Instrumentalem. Ausgangspunkt für jedwede Entscheidung bleiben aber die Texte Nöstlingers – und ihre ungebrochene Aktualität.
Die Schauspielerin Sarah Jung, geb. 1978 in Innsbruck, die Schlagzeugerin und Komponistin Judith Schwarz, geb. 1989 in Wien, und die Jazzsängerin und Singer-Songwriterin Anna Wiedauer, geb. 1989 in Wörgl, sind ein kongeniales Trio, das man erlebt erhaben muss!
Big-Data-KI-Programme verhelfen Menschen beim Verfassen von Texten tagtäglich zu korrekter Schreibweise, Grammatik (Stichwort Autokorrektur) sowie zu Fragen der Formulierung. Die von Elon Musk und Microsoft finanzierte Software GPT-3 allerdings kann „menschenähnliche“ Texte so generieren, dass sie sich von einem „menschengemachten“ Text nicht mehr unterscheiden lassen. Kann eine solche Künstliche Intelligenz auch zu kreativem Schaffen fähig sein? Kann sie ähnlich berühren und faszinieren wie der literarischer Text eines Autors/einer Autorin aus Fleisch und Blut und kann sie (in Zukunft) Autor*innen gar gänzlich ersetzen?
Martin Sexl, Universitätsprofessor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Innsbruck.
Fabian Navarro, geboren 1990 in Warstein, ist Autor, Slam Poet und Kulturveranstalter, lebt in Wien. Sein aktuelles Projekt Eloquentron3000, ein Bot, der Gedichte schreibt lässt sich auf Instagram verfolgen. Romandebüt: Miez Marple und die Kralle des Bösen (Goldmann, 2022).
Präsentation: Barbara Unterthurner
In Kooperation mit dem Verein Arbeitskreis für Wissenschaft und Verantwortlichkeit.
In Ilinca Florians Roman Bleib, solang du willst. (Karl Rauch, 2022) geht es um die Beziehung zweier Schwestern: Marthas großer Wunsch war immer eine eigene Familie. Als ihr gemeinsamer Sohn Emil acht Monate alt ist, findet sie heraus, dass ihr Mann Niklas sie mit mehreren Frauen betrügt, Martha packt ihre Sachen und zieht mit Emil zu ihrer Schwester Charlotte nach Berlin. Charlotte ist fast zehn Jahre älter als Martha und arbeitet
als Assistentin mehrerer Unternehmensberater. Sie lebt allein, hat keine Kinder und bindet sich offenbar nie lange. Charlotte nimmt Martha und Emil auf und besorgt ihrer Schwester einen Job am Empfang ihrer Firma. Denn Martha braucht Geld. Während Martha immer bestimmter für ihren persönlichen Traum – zu singen – kämpft, hinterfragt Charlotte, die stets ihre Freiheit genossen hat, ihr bisher unabhängiges Leben.
Freundinnen und Partnerinnen, Mütter und Töchter: In Mieze Medusas hinreißendem neuen Roman Was über Frau geredet wird (Residenz, 2022) dreht sich alles um Frauen und ihr Recht, auf das zu pfeifen, „was über sie geredet wird:“ Die Tirolerin Laura lebt in Innsbruck und hasst Skifahren, Hüttenromantik und Alpenzauber. Frederike, genannt Fred, mit vierzig immer noch unstet und öfter arbeitslos, lebt in Wien, früher mal mit Marlis, verliebt sich aber in die Musikerin Milla YoloBitch. Marlis will ein Kind, Fred will Milla, Milla will rappen, Laura will Comics zeichnen, Lauras Schwester Isabella will Familie und Karriere. Und wenn auch nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen, so legt Mieze Medusa hier doch ein flammendes Plädoyer dafür vor, dass Frauen alles sein, werden und wollen dürfen.
Moderation: Irene Zanol
Eine Premiere: Norbert Gstrein liest aus seinem noch unveröffentlichten Essayband (Hanser, April 2023). Zum ersten Mal gibt er Auskunft über sein Schreiben und sein Werk. Er spürt Empfindungen wie Scham, Schuld und Angst nach und blickt auf den Zusammenhang von Literatur, Wissenschaft und Wahrheit. Und er erzählt von den Lektüren seines Lebens: von William Faulkner über Toni Morrison bis hin zu Franz Kafka. „Jetzt kommen sie und holen Jakob“ lautet der erste Satz seines ersten Buches – davon ausgehend spannt der Autor einen Bogen bis in die Gegenwart und leuchtet die Echoräume seines Erzählens aus. Wer ist das „Ich“ in seinen Romanen? In welcher Verbindung stehen Schreiben und Moral? Was haben Gauß und die Mathematik mit allem zu tun? Und kann man ein amerikanischer Schriftsteller sein, obwohl man in Tirol aufgewachsen ist?
Moderation: Ulrike Tanzer
Von der kalifornischen Einzelgängerin zur New Yorker Intellektuellen Joan Didion (1934-2021) war in den USA schon lange eine Ikone, in Europa wurde man erst durch ihren großen Trauertext Das Jahr des magischen Denkens (2005) auf sie aufmerksam. Mit ihrem vielseitigen Schaffen, etwa ihren Essays über die Hippiebewegung oder ihrer legendären Textsammlung Das weiße Album (1979), sezierte sie seit den 1960er Jahren mit ihrer entlarvenden, unsentimentalen Sprache die amerikanische Gesellschaft. Sie schrieb für die Vogue und den New Yorker, griff kontroversielle Themen wie die brutalen Serienmorde Charles Mansons auf und forderte ihre Leser*innen durch ihren eigenwilligen und analytischen Zugang u.a. mit Romanen wie Demokratie (1984) heraus.
Die Literaturwissenschaftlerin Veronika Schuchter und Gabriele Wild lebten ein Jahr mit den Werken Joan Didions, ließen sich von ihr inspirieren, tauschten sich mit Autor*innen aus und fanden erstaunlich viele Bezüge zu unserer krisengebeutelten Zeit. Es entwickelte sich ein besonderes Lebens- und Lesegefühl, das an diesem Abend auch mittels eines eigens ausgewählten Soundtracks dargestellt werden soll.
Öffnungszeiten
Montags bis donnerstags von 9 bis 16 Uhr oder nach telefonischer Vereinbarung (+43 512 507 45001)
Andrej Kurkow zeigt in seinen Tagebucheinträgen, erschienen im Haymon Verlag, historische Kontinuitäten auf und macht den Kampf der Ukrainer*innen um Selbstbestimmung begreifbar. Er schreibt die Geschichten nieder, die keinen Platz in den Kurzmeldungen finden: Er erzählt von Brennpunkten und Schicksalen. Er erzählt von den Menschen. Aufzeichnungen aus dem Krieg, die sehr persönlich und dennoch an jemand anderen gerichtet sind: an die Welt, an uns alle. Um zu bezeugen, was war, was ist, wie es vielleicht sein wird – danach.
Neu bei uns zu Gast an Wintersonntagen: Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst & Kultur.
In der Reihe [Grenzgänge], konzipiert vom Verein 8ungKultur und dem Literaturwissenschaftler Klaus Zeyringer, werden jeweils zwei Autor*innen in den Mittelpunkt gestellt und zu Werkstattgesprächen und Lesungen eingeladen. Seit 2021 findet die Veranstaltung in Kooperation mit dem Literaturhaus am Inn statt.
Bühnentext, Performance, Sprachspiel und Metatext sowie ein sensorischer Blick auf gesellschaftspolitische Entwicklungen gehören u.a. zum Repertoire dieser beiden Schreibenden.
In der Reihe [Grenzgänge], konzipiert vom Verein 8ungKultur und dem Literaturwissenschaftler Klaus Zeyringer, werden jeweils zwei Autor*innen in den Mittelpunkt gestellt und zu Werkstattgesprächen und Lesungen eingeladen. Seit 2021 findet die Veranstaltung in Kooperation mit dem Literaturhaus am Inn statt.
Sowohl in Anna Kims Roman Die Anatomie eines Kindes (Suhrkamp) als auch in Dirk Kurbjuweits Roman Der Ausflug (Penguin Verlag) geht es um „Rasse“ und Rassismus und um die Frage, wie wir aufeinander schauen und was wir glauben, im anderen zu sehen.