Gertraud Klemm 08.03.–12.03.2021

8. März

Hap­py Frauen­tag, im Dorf. Immer wenn ich einen fem­i­nis­tis­chen Kom­men­tar schreibe, fürchte ich mich am Tag danach, auf die Straße zu gehen, bei uns im Dorf. Seit gestern ste­ht so ein Text von mir im Netz, jede und jed­er kann ihn lesen. Ein paar Kom­mentare hab ich heute früh gele­sen, während ich Schul­brote geschmiert hab und den Geschirrspüler aus­geräumt. Let­zte Woche hab ich fast gar keinen Haushalt gemacht, Frauen­tag ist immer viel Arbeit im Vor­feld, es gab viel Toast und ich war viel unter­wegs. Ein guter Frauen­tag bedeutet 1–2 faule Mut­ter­wochen. Rumoren im Stan­dard Forum: viel Zus­pruch dabei, aber auch große Empörung. Dass so eine wie ich. So priv­i­legiert, sich­er haben sie mir alles auf dem Sil­bertablett.  Das mit dem Gen­der­pay­gap, das stimmt ja alles nicht. Und­soweit­er. Alles wieder­holt sich im fem­i­nis­tis­chen Jahreskreis, Equal Pay Day, Frauen­tag, dann der Mut­tertag, dann immer wieder die Wahlen, dann wieder der Equal Pay day, usw. 

Hund

Ich geh mit dem Hund raus. Als würde ich etwas (was?) gut­machen wollen und müssen, ertappe mich dabei, wie ich beson­ders fre­undlich grüße: Män­ner, Frauen, Kinder. Schaut doch, ich bin nicht die böse Schwan­z­ab­schnei­derin, will ich dann zum Aus­druck brin­gen, und frage mich, warum kein Pseu­do­nym, alles wäre ein­fach­er. Dann ander­er­seits. So weit kommts noch. So viele lesen meine Kom­mentare eh nicht. Außer­dem wis­sen sie eh schon, was sie von mir kriegen. Es ist ein Beruf, bas­ta. Lieber den Müll anse­hen, den ich gar nicht anse­hen will. Heute ist „Zeigt her Euren Müll“ Tag. Wer hat den extra­großen Mis­tkü­bel, wer kommt mit dem nor­malen aus? Und dann der Plas­tik­müll. Wo sind die kleinen und großen Gre­tas, wer sauft die ganzen Plas­tik­flaschen? Wieviel Pri­vates voneinan­der zu wis­sen hal­ten wir aus? Viel. Und wieder die trans­par­enten Windel­säcke, die mich so inspiri­ert haben, als ich „Hip­pocam­pus“ geschrieben habe. So viel Pri­vates und Poli­tis­ches gle­ichzeit­ig, ein reich gedeck­ter Tisch. Das gibts halt nur bei uns am Land! So viel Inspi­ra­tion hätte ich gar nicht in Wien, red ich mir ein. Und diese Luft. So süß und frisch, und der Hund: so glücklich. 

Müll

Tag 2

Es hat auch sein Gutes wenn so ein Frauen­tag wieder vor­bei ist. Wenn all die stram­men neolib­eralen Recht­fer­ti­gungssol­datin­nen, die die recht­skon­ser­v­a­tive Reichshälfte an Tagen wie diesen aus dem Hut zaubert, wieder in der Versenkung ver­schwinden dür­fen. Wenn der ORF nicht mehr „Frauen­tagspro­gramm“ sendet, in dem die armen Roy­als ihr Leid kla­gen dür­fen, wie hart das Patri­ar­chat im Königshaus zuschlägt. Wenn man nicht mehr der Frauen­min­is­terin dabei zuschauen muss, wie sie nach  fem­i­nis­tis­chen Grund­prinzip­i­en wie Quote und Gehalt­strans­parenz schlägt, als wären es lästige Schmeißfliegen. Immer mit diesem  verzweifel­ten Auge­nauf­schlag, als würde sie mit vorge­hal­tener Waffe dazu gezwun­gen, alles, was den Frauen ein biss­chen helfen würde, aus Prinzip totzure­den und sich kleine Almosen also bitte nicht kleinre­den zu lassen. Und dazwis­chen immer diese Jesus-Arme. Das hat schon was von Stock­holm Syn­drom. Diese Frauen sind so fest im Würge­griff der Mes­sage­con­troll, dass sie offen­sichtlich non­ver­bal um Hil­fe bit­ten.
Das ist nur Ein­tags-Fem­i­nis­mus, das geht vor­bei, ganz bes­timmt, will man ihr zurufen. Inter­essiert mor­gen kein Schwein mehr. Obwohl: Heute Abend ist nicht nur die Dohnal im Fernse­hen son­dern es wird auch aus dem Lit­er­aturhaus life gestreamt, zum Frauen­tag. Mit­tler­weile haben wir uns daran gewöh­nt, unsere Texte und Anliegen in unsere Lap­tops oder in Kam­eras auf Sta­tiv­en zu sprechen, es gibt Hon­o­rare, es gibt feed­back, und es gibt manch­mal sog­ar mehr Zuse­herIn­nen als in echt. Mut­macherin­nen, lautet das Mot­to. Nach so einem Frauen­tag ist nicht viel Mut bei mir übrig. Aber Bit­terkeit hätte ich zum Saufüt­tern. Bit­terkeit, anyone? 

Tag 3

Haben jet­zt alle ihre fem­i­nis­tis­chen Wun­den fer­tig geleckt, ja? Na bitte. Sog­ar die Dohnal hat sich im ORF ein biss­chen bre­it machen dür­fen, aber nicht zu bre­it, gell? Jet­zt könne wir alle zurück zum guten alten Patri­ar­chat, am besten mit den Chat-Pro­tokollen zwis­chen Kurz und HC, Blüml und Kickl, die sich abwech­sel­nd beieinan­der ein­schleimen und dann wieder aufeinan­der ein­schnap­pen. Wie ein Hun­derudel aus lauter ver­hin­derten Alpharü­den, dem das beschwichti­gende Weibchen abhan­den gekom­men ist. Ander­er­seits: welch­es Weibchen, jemals? Mir steigt nur mein Traum zu Kopf. Heute habe ich von Mexiko geträumt, ich bin dort mit einem Fahrrad herumgeir­rt und wurde von ein­er sehr imposan­ten Don­na mit Hut und Zigarre aufgenom­men, die mich in ihrer fet­zig aus­ge­mal­ten Garage schlafen ließ. Anhand ein­er Wand­stick­erei kam ich dann drauf, dass ich in Juchi­tan gelandet war, im Matri­ar­chat! Das freute mich unge­mein, ich würde näm­lich wahnsin­nig gerne eine matri­ar­chale Gesellschaft besuchen, am lieb­sten auf der Insel May­otte, dort gibt es nicht nur Chamäleons und Lemuren, son­dern eben auch ein Matri­ar­chat, auch wenn das den alt­vat­trischen Wikipedia-Stre­bern nicht passt, und sie es deswe­gen nicht erwäh­nen. Aber das sind nur feuchte fem­i­nis­tis­che Träumereien, über­haupt in den Zeit­en von Coro­na. Geimpft wer­den wir wahrschein­lich im Herb­st, da wer­den die 80-jähri­gen schon mit ihren grü­nen Pässen wieder munter auf Kreuz­fahrdampfern herum­schip­pern und wir besten­falls in Öster­re­ich Urlaub machen dür­fen, schon wieder. Gern in Tirol, dort ist ja wieder alles möglich und wir kön­nen wieder bei Null begin­nen. Nicht schon wieder Urlaub in Öster­re­ich. Let­zten Som­mer waren wir schon im Ennstal, und sind dort eine Schlucht hin­aufge­wan­dert, obwohl, es war eher eine Prozes­sion, alle Öster­re­ich­er und Deutsche, die sich im Tal drängten, haben sich schnaufend und schwitzend dicht an dicht am Gelän­der hochge­zo­gen, dabei laut gere­det und einan­der in den Nack­en gekeucht und gespuckt, es war eine einzige Infek­tion­sorgie. Oben angekom­men drängten wir uns um einen kleinen Tisch, und die Kell­ner­in trug ihre Maske, wie am Land dur­chaus üblich, schick unter der Nase, und der Hüt­ten­wirt hat­te ein halb­blindes, spe­ichelver­schmiertes Visi­er. Ein krö­nen­der Abschluss, die Englän­der, die uns begleit­eten, lacht­en heim­lich, wir hat­ten ihnen wieder mal das gemütliche Öster­re­ich gezeigt. Aber keine Angst, ich beschwere mich eh nicht, ich halte alle aus, ich bin eine ungeimpfte, pan­demiegestählte Coro­na-Mum. Wir waren ja auch Rad­fahren in Ital­ien, da kom­binierten die Ital­iener ihre Maske ele­gant zu ihren feinen Dreiviertel­ho­sen, alles in den trendig­sten Far­ben, gern auch läs­sig ums Handge­lenk wie ein hüb­sches Acces­soire, und in Udine im Hotel trug der Rezep­tion­ist eine schlanke, schwarze Schlaf­maske aus Satin, passend zur Krawat­te, jeden­falls war wed­er der Mund noch die Nase bedeckt, es war zum Schreien komisch. Ich bereue nichts. Zeit endlich wieder aufzuwachen.

Tag 4

Heute darf ich eine Redak­teurin durch Baden führen, es wird dann ein Fea­ture im Radio geben. Was ich der erzäh­le, weiß ich schon. Aber was erzäh­le ich ihr nicht? Hier hat mich der Polizist geschimpft, weil ich mir einge­bildet hab, in der Innen­stadt bar­fuß zu gehen. Dort in diesem Park auf diesem Bankerl hab ich meinen Fre­und bet­ro­gen, der war damals der Fre­und von derund­der und übri­gens der Sohn von, der wiederum jet­zt in der Gemeinde…. Nein, zurück zum Start.
Das Unge­heuer­liche an ein­er Kle­in­stadt ist ja, dass man mit allen ver­bun­den ist, dass man alle bissl ken­nt keinen richtig. Deswe­gen lernt man in ein­er Kle­in­stadt das strate­gis­che Grüßen. Man kann ja nicht alle grüßen, und deswe­gen grüßt man in Baden auch nie­man­den, den man nicht grüßen muss. Jede und jed­er trägt kol­portierte Geschicht­en mit sich herum, oft gen­er­a­tio­nenüber­greifend. Es passierte prak­tisch ständig und von Kindesta­gen an, dass ich jeman­den ken­nen­lernte und zu Hause den Namen erwäh­nte, und die Mut­ter sagt: ach das muss die Tochter von der Sound­so sein, und die Groß­mut­ter dann ein­warf: genau, das muss dann das Enkelkind der Soun­dos sein, oder? Ich kenne den Opa, der war. Ja, was war der: ein Säufer, ein Weiber­er, ein erfol­gre­ich­er Geschäfts­mann, ein fes­ch­er Kerl, ein Nazi, ein Natur­bursch, ein Spin­ner, ein Bürg­er­meis­ter, such‘s dir aus. Und wenn es eine Frau war: eine Furie, eine Schön­heit, eine Hur, eine schlechte Mut­ter, eine liebe Lehrerin, eine, die dann Krebs gekriegt hat, eine Aufge­takelte, eine, die nichts gear­beit­et hat, eine Abger­ack­erte. Die, die keine gefun­den haben, die dann wegge­gan­gen sind, die die Sprache nicht gekon­nt haben oder es nicht ins Gym­na­si­um geschafft haben, über die sprach man nie und sich­er ist es immer noch so.
Ist das noch Gequatsche oder schon eine Diag­nose?
Natür­lich gehöre ich da auch dazu. Es ist schon eine exzes­siv kul­tivierte Erstick­ung, wie eine Bon­saikul­tur, die fein­ste bie­der­meier­liche, bürg­er­liche Auslese. Und dann auch noch Operetten­metro­pole: metapho­risch­er geht‘s nicht. Das find­et sich nir­gends glaub­würdi­ger wieder als im Kur­park. Den werde ich der Redak­teurin zeigen. Eine einzige Ode an die Zucht und Ord­nung auf jedem Quadratzen­time­ter, kein einziges Unkraut, nur ja nichts Autochtones, das aufkom­men will. Das klingt alles so gemein und fies, und das ist auch so. Es hat schon einen Grund warum alle Kün­stler und Kün­st­lerin­nen irgend­wann die Stadt ver­lassen haben und ihnen nachgeschimpft wird.
Warum bin ich noch immer hier, in Reich­weite? Hof­fentlich fragt sie mich das nicht.

Tag 5

Jet­zt habe ich seit genau ein­er Woche einen Schlüs­sel zu meinem Büro in Wien und war noch keinen Tag dort schreiben. Heute ist der Tag. Bis jet­zt habe ich fast immer zu Hause gear­beit­et, im Gästez­im­mer-Büro, im Schlafz­im­mer, manch­mal durfte ich geile Klausuren machen, Res­i­den­zen in reizvollen Schlössern und Land­häusern antreten, später dann weniger geile in Woch­enend­häusern und zugi­gen Woh­nun­gen, um die Ablenkung auszuschal­ten. In Schot­t­land kon­nte ich wirk­lich alles ausknipsen, was nichts mit dem Roman zu tun hat­te, dort merk­te ich, wie hoch mein Betrieb­stem­po wäre, ohne Rund­herum: unfass­bare 100 Norm­seit­en im Monat. Als ich dort in meinem Schlossz­im­mer saß, rief mich eine Mut­ter an, es hätte in der Klasse eine Prügelei gegeben, mein Sohn hätte echt das, ihr Sohn hätte nur jenes, und ich unter­brach sie grin­send und sagte: ich bin in Schot­t­land in einem Schloss, seien sie mir nicht bös, das geht mich nichts an. Niemals zuvor kam ich dem genialen, männlichen, kinder­losen Schrift­steller­priv­i­leg näher als dort.
Für die Fer­tig­stel­lung eines Antholo­gi­etextes bin ich let­zte Woche mit dem Lap­top durchs Haus ger­an­nt, immer auf der Flucht vor Lärm und Störung, im Büro nebe­nan tele­fonierte mein Mann, von oben wum­merte der pubertäre Rap, in der Küche wurde ein Zirkus nachge­baut, im hin­ter­sten Winkel des Wohnz­im­mers hat­te ich Ruhe, bis mein Klein­er mit sein­er Djem­be kam, vor dem bin ich dann wieder davon­ge­laufen, der Text gelang im Schlafz­im­mer und auch nur, weil es wirk­lich drin­gend war und buch­stäblich um Minuten ging. So schreiben Autoren, die halt auch Frauen und Müt­ter sind. Es ist total würde­los. Ein ständi­ger Spa­gat, der dich nur ausleiert und dir nichts bringt , schon gar nichts für das Schrift­steller­leben. Also ein Sprung!


Mein Büro in Wien ist klein, sehr klein, von mir aus kön­nte es noch ein biss­chen klein­er sein.
Ein Tisch, ein paar Stüh­le, und ein Bett, fer­tig. Keine Regale, keine Büch­er, und die ganze weiße Wand leer, bei der ich mich gefragt habe – was kommt da hin? Deine Plots kom­men da hin, hab ich mir dann geant­wortet, deine meter­lan­gen Papier­würste, die du daheim ver­schämt zusam­mengerollt hast, die bre­itest du aus und pickst sie fest. Wir haben eine Liste gemacht, was ich noch brauche, und mein Mann hat mich gefragt, ob ich nicht einen Staub­sauger, und ich habe gesagt nein, keinen Staub­sauger, was kommt als näch­stes, ein Ther­momix? Max­i­mal Kaf­fee oder Tee kochen, Essen kochen lassen oder aufs Essen vergessen, keine „inspiri­eren­den“ Tre­f­fen mit irgend­je­man­dem. Wie lang muss ich mich in meinem Schreib­büro aufhal­ten, bis ich Schmutz pro­duziere und einen Staub­sauger brauche? Schmutzen tun immer die anderen, der Mann und natür­lich die Kinder, sie tra­gen kilo­weise Kiesel­steine ins Haus, Erd­knödel, Blat­twerk und kleine Ästchen, Zuck­erlplas­tik, winzige Play­mo­bil­waf­fen, Schnupftabak­dosen, sinnlose Wer­te­bons und bergeweise Stick­er für Stick­er­al­ben, die ich für die größte Kon­sum-Ver­arschung des 21. Jahrhun­derts halte. Als hätte die Gesellschaft nicht genug Dreck und Arbeit, müssen sie auch noch Stick­er­müll sam­meln, sortieren und auf face­book tauschen, den Kindern ist das näm­lich zu müh­sam, und nur die Frauen sind blöd genug, sich dafür einspan­nen zu lassen. Ich krieg gle­ich wieder einen Wutan­fall. Aber den nehme ich mit nach Wien, den baue ich gle­ich ein. Den Textblock über die Rolle von Vogel­stim­men während der Pan­demie, den ich die let­zten Tage mit­geschleppt habe und irgend­wo unter­brin­gen wollte, der passt auch heute nicht, der muss warten, aber der näch­ste Lock­down kommt bes­timmt. Danke fürs mitle­sen, es war mir ein Volksfest! 

hier geht’s zu allen Jour­nalen aus diesen Tagen