Das Mon­tags­früh­stück im Mai wäre der Frage nach dem Ver­hält­nis von Leben, Werk und Wirk­lichkeit nachge­gan­gen: Inwieweit und in welch­er Form ‚trans­formieren‘ Autorin­nen und Autoren in ihren Tex­ten per­sön­liche und gesellschaftliche Real­itäten zu lit­er­arisch­er Fik­tion? Und wie begeg­nen wir als Rezip­i­entIn­nen diesem Phänomen? Soll klar zwis­chen AutorIn­nen­bi­ogra­phie, ‑mei­n­ung und Werk unter­schieden wer­den? Und wer darf dann über wen schreiben? Dür­fen sich AutorIn­nen die Erfahrun­gen ander­er in ihrem Werk zu eigen machen? Wenn nein, was hat das für Fol­gen für die Fik­tion­al­ität? Wer­den lit­er­arische Texte wegen ihrer Fik­tion­al­ität gar suspekt?

All diese Fra­gen haben vor dem Hin­ter­grund der ver­gan­genen Monate an Beson­der­heit und Aktu­al­ität gewon­nen, und es ist sehr schön, dass die Schrift­stel­lerin Bet­ti­na Balà­ka und der Kom­para­tist Mar­tin Sexl unser­er Ein­ladung gefol­gt sind, einen Text dazu zu ver­fassen und ihn uns und den Leserin­nen und Lesern zur Ver­fü­gung zu stellen.

Lesen Sie also Bet­ti­na Balàkas Essay Der Indi­an­er in uns und Mar­tin Sexls Briefes­say Warum wir nicht nur Virolo­gie und Epi­demi­olo­gie benöti­gen, um Poli­tik zu machen, son­dern auch Lit­er­atur und Kun­st – und denken Sie bei Kaf­fee und einem Crois­sant an uns!

DER INDIANER IN UNSSCHRIFTSTELLER UND DIE WIRKLICHKEIT von Bet­ti­na Balàka

LEBEN

Die inter­es­san­teste Ver­wech­slung zwis­chen mir selb­st und ein­er mein­er Roman­fig­uren erlebte ich bei meinem Roman „Kas­siopeia“. Judit Kalman, die Pro­tag­o­nistin, ist dank ihres in der Wirtschaftswun­derzeit reich gewor­de­nen Vaters materiell so gut ver­sorgt, dass sie in erhe­blichem Luxus lebt und nicht zu arbeit­en braucht. Prompt erhielt ich nach Erscheinen des Buch­es per­ma­nent die Frage – in Inter­views, bei Lesun­gen usw. – ob mir denn eben­falls dieses benei­denswerte Schick­sal zuteil gewor­den sei. Man hat­te sich, wie es schien, blitzschnell die Fan­tasie zurecht gelegt, dass ich eine Schrift­stel­lerin sei, die aus bloßer Nei­gung schreibe und nicht min­destens eben­so aus der Notwendigkeit, ihren Leben­sun­ter­halt zu ver­di­enen. Man stellte sich vor, ich würde wie Judit Kalman erster Klasse in der Welt herum­jet­ten und mir finanziell schranken­los alles gön­nen, was mir gefiel. Lei­der nicht, kon­nte ich da nur sagen.

Doch das war noch nicht alles. Judit Kalman hat eine leicht ver­brecherische Ader, indem sie nach allen Regeln der Kun­st einen Schrift­steller stalkt. Ich recher­chierte gründlich und sah mir genau die Tech­niken an, auf die reale Stalk­er bere­its ver­fall­en waren. Offen­bar war das Ergeb­nis überzeu­gend. Denn nach der Frage nach meinem ver­meintlichen Reich­tum war häu­fig die näch­ste die, ob ich denn etwa auch schon mal einen Mann gestalkt hätte. Ich ver­wies auf meinen Roman „Eis­flüstern“, in dem jemand auf fan­tasievolle Weise ein halbes Dutzend Morde bege­ht, und stellte die Gegen­frage, ob man denn auch ver­mute, ich hätte all diese bizarren Grausamkeit­en begangen.

Unter dem Strich hat­te ich mit Judit Kalman nur das Geschlecht gemein­sam und vielle­icht grob die Alters­gruppe, wen­ngle­ich ich um etliche Jahre älter war als sie. Dass sie reich ist, war auf zwei Gründe zurück­zuführen. Zum einen wurde mir bei meinen Recherchen über Stalk­ing klar, dass es sich um ein äußerst zeitaufwendi­ges Ver­brechen han­delt. Richtig inten­sive Stalk­er haben daher oft keinen Job. Nun wollte ich meine Pro­tag­o­nistin aber nicht von der Sozial­hil­fe leben lassen, was ihre Möglichkeit­en ja ein­schränken würde, vielmehr sollte sie von finanziellen Über­legun­gen unge­bremst ihrem Liebeswahn nachge­hen kön­nen. Der zweite Grund ergab sich schnell, indem ich mir diese Möglichkeit­en auszu­malen begann: Es machte mir Spaß, denn es befre­ite mich aus mein­er tat­säch­lich prekären Real­ität, die die ein­er allein­erziehen­den Schrift­stel­lerin war, die sich mehr schlecht als recht durch­schlug. Es hätte mir keine Freude gemacht, über jeman­den zu schreiben, der jeden Cent drei Mal umdrehen muss, denn dann hätte ich nur meinen All­t­ag gedop­pelt, so aber kon­nte ich in mein­er Fan­tasie daraus entfliehen.

Was das Stalk­ing bet­rifft, so hat­te ich es in meinem Leben mehrfach selb­st erlebt, in der pas­siv­en Form. Die Rol­lenumkehr im Buch kön­nte man psy­chol­o­gisch vielle­icht als eine Art Empow­er­ment-Ver­such anse­hen, als Bewäl­ti­gungsstrate­gie. Eigentlich aber ging es mir um Frauen wie Adèle Hugo, die roman­tis­ch­er Besessen­heit verfielen.

Wie man sieht, kann manch­es ganz anders sein, als man denkt, und oft ist es auch das Gegen­teil. Auch „Kas­siopeia“ birgt am Ende noch eine ziem­liche Über­raschung, was das Ver­hält­nis von Stalk­erin und Gestalk­tem betrifft.

 

Es gibt in der Lit­er­aturgeschichte berühmte Beispiele für den Kon­trast von Leben und Werk. Jane Austen etwa, die Meis­terin des „courtship plots“, hat­te selb­st nicht das Glück, den Prozess des Find­es der großen Liebe bis hin zur Hochzeit zu durch­laufen. Vielle­icht erschien ihr die Ehe auch gar nicht so reizvoll, denn zumin­d­est ein von ihr abgelehn­ter Antrag ist ver­bürgt. Ab ihrem dreißig­sten Leben­s­jahr soll sie durch das Tra­gen entsprechen­der Klei­dung sig­nal­isiert haben, dass sie am Heirats­markt nicht mehr zur Ver­fü­gung stand.

Im Fall eines Romanes ist es eigentlich ein­fach, von Fik­tion auszuge­hen, denn er ist per def­i­n­i­tionem Fik­tion. Anders aber sieht es aus, wenn der Schrift­steller seine eigene Biografie ver­fälscht. So gab der in Wien-Bre­it­ensee geborene H. C. Art­mann bisweilen seinen Geburt­sort als „St. Achatz am Walde“ an, was unüber­prüft in so manchen Klap­pen­text geri­et. Ein spezieller Fall ist Karl May, der sich so sehr in seine Geschicht­en ver­stieg, dass er behauptete, Old Shat­ter­hand zu sein, und sich von einem Kötzschen­bro­daer Büch­sen­mach­er die leg­endären Gewehre sein­er Roman­helden –„Bären­töter“, „Sil­ber­büchse“ und „Hen­rys­tutzen“ – anfer­ti­gen ließ. Natür­lich beförderte dieser Mythos auch den Verkauf, und so wur­den Leser­an­fra­gen an den Ver­lag in diesem Sinne beantwortet.

 

WERK

Die im Herb­st 2019 erschienene Ama­zon-Serie „Hunters“ mit Al Paci­no, in der es um eine Gruppe von Nazi-Jägern in den Siebziger­jahren in den USA geht, gab Anlass zu ein­er auch für Schrift­steller inter­es­san­ten Diskus­sion. Grund dafür war fol­gende Szene: KZ-Insassen ste­hen auf ein­er Wiese, die mit Hil­fe von einge­tram­pel­ten hellen und dun­klen Quadrat­en als überdi­men­sion­iertes Schachbrett gestal­tet wurde, als Fig­uren. Ein Lagerkom­man­dant spielt gegen einen jüdis­chen Häftling. Jedes Mal, wenn eine Fig­ur geschla­gen wird, muss der sie repräsen­tierende Häftling mit einem Mess­er abgemet­zelt wer­den. Links und rechts des Schachbrettes häufen sich die Leichen.

Das Prob­lem ist: Der­gle­ichen ist nie passiert. Bei all den sadis­tis­chen Per­fi­di­en, die sich die Nazis ein­fall­en haben lassen, war diese nicht dabei. Auch wenn die Szene per se nicht revi­sion­is­tisch ist, die Ver­brechen nicht leugnet, son­dern ihnen nur ein weit­eres, fik­tives hinzufügt, kön­nte genau das im End­ef­fekt doch zu Revi­sion­is­mus führen. Denn wenn man geglaubt hat, dass das wirk­lich passiert ist, und dann erfährt, dass es sich um bloße Erfind­ung han­delt – warum sollte man dann noch irgend­was von dem glauben, was man über die Konzen­tra­tionslager hört? So meldete sich unter anderem die Auschwitzge­denkstätte zu Wort: Man müsse bei den Fak­ten präzise bleiben, um die Opfer und ihre Geschicht­en zu ehren, und um nicht Holo­caust-Leugn­ern eine implizite Legit­i­ma­tion ihrer The­o­rien zu liefern. Geht es um his­torische Fak­ten, stößt die Fik­tion hier an ihre Grenzen.

Ein weit­er­er Diskus­sions­fall war Peter Hand­ke, der wie Karl May „die Indi­an­er“ als Pro­jek­tions­fläche ver­wen­dete. Die Belagerung Sara­jevos beschrieb er so, dass die Trup­pen der Repub­li­ka Srp­s­ka als Frei­heit­skämpfer gedeutet wur­den: „Erscheinen nicht auch in den West­ern die bösen Indi­an­er oben auf den Fel­sklip­pen, die friedlichen Ami-Karawa­nen über­fal­l­end und met­zel­nd – und kämpfen die Indi­an­er nicht doch um ihre Frei­heit?“ Die Pro­jek­tion deflek­tiert von den Indi­an­ern auf „die Ser­ben“, für Hand­ke die edlen Wilden Europas: „Wird man ein­mal, bald, wer?, die Ser­ben von Bosnien auch als solche Indi­an­er entdecken?“

Der Ges­tus des tas­ten­den Fra­gens ver­schleiert nicht, dass es sich hier um eine ziem­lich starke Insin­u­a­tion han­delt. Dabei greift Hand­ke die Fik­tion vom West­ern-Indi­an­er an und erhebt im sel­ben Moment die Fik­tion vom edlen Balkan-Indi­an­er zur (doch auch möglichen?) Real­ität. Er ist stolz darauf, das filmis­che Klis­chee zu durch­schauen und überträgt dieses berechtigte Anzweifeln auf eine völ­lig andere Sit­u­a­tion. Die Berichter­stat­tung der Medi­en hat für ihn densel­ben Stel­len­wert wie ein Hol­ly­wood-Drehbuch: alles Erfind­ung, alles Propaganda.

Auch hier sind real existierende Men­schen betrof­fen, die ehe­ma­li­gen Eingeschlosse­nen von Sara­je­vo, die sich gegen ein solch­es Infragestellen des von ihnen Erlebten wehren.

 

Die Behaup­tung, Lit­er­atur könne eine „höhere Wahrheit“ aufzeigen, ist ein­er­seits richtig und ander­er­seits heikel. Richtig ist sie in dem Sinne, dass Lit­er­atur uns die Augen öff­nen und einen Erken­nt­nis­gewinn bescheren kann. Im Falle völ­li­gen Real­itätsver­lustes dage­gen gebärdet sie sich unter Umstän­den wie eine Reli­gion. Die Erde ist viele Mil­lio­nen Jahre alt? Nein, die höhere Wahrheit ist, sie ist erst ein paar tausend Jahre alt.

Das beson­ders Heik­le bei Schrift­stellern ist, dass sie haarsträuben­den Unfug oft sehr schön auszu­drück­en ver­mö­gen. Ist das Ger­aune nur gülden genug, wird es ver­führerisch. Darf man es nicht mehr hin­ter­fra­gen, weil Lit­er­atur sakrosankt ist, ist man nicht weit vom religiösen Führer ent­fer­nt, der in den Augen sein­er Anhänger zwangsläu­fig recht hat, weil er so schön zu predi­gen vermag.

 

WIRKLICHKEIT

Wer nichts weiß, muss alles glauben“, lautet ein Apho­ris­mus von Marie von Ebn­er-Eschen­bach. In den Natur­wis­senschaften wird Wis­sen durch ständi­ges Hin­ter­fra­gen etabliert. Doch Fal­si­fika­tion und Diskur­s­analyse bedeuten nicht, dass alles irgend­wie rel­a­tiv ist, dass jed­er selb­st bes­tim­men kann, was Wis­senschaft ist, dass es am Ende keine Fak­ten gibt. Es kommt nicht von unge­fähr, dass der Glaube von einem Nebeneinan­der an mehreren „alter­na­tiv­en Fak­ten“ beson­ders in den USA um sich greift, wo an manchen Schulen neben (oder statt) der Evo­lu­tion­s­the­o­rie auch die Schöp­fungs­geschichte unter­richtet wird. Die ersten Siedler waren oft Mit­glieder religiös­er Grup­pierun­gen, die in Europa ver­fol­gt wur­den. Die daraus erwach­sene schöne Tra­di­tion der Reli­gions­frei­heit führt jedoch in ihren extrem­sten Auswüch­sen dazu, dass die Wis­senschaft als etwas ange­se­hen wird, was man ein­fach hin­weg­glauben kann. Kli­mawan­del? Glaub ich nicht. Coro­na? Glaub ich nicht. CNN-Berichte? Glaub ich nicht.

In ein­er solchen Welt gibt es keinen Halt mehr. Ver­schwörungs­the­o­rien ste­hen auf ein­er Ebene mit ser­iösem Jour­nal­is­mus, demokratisch gewählte Poli­tik­er hal­ten sich für Ärzte und regen die Injek­tion von Desin­fek­tion­s­mit­teln an oder schüt­teln die Hände von Covid-19-Infizierten. In ein­er solchen Welt tun Schrift­steller gut daran, Fik­tion als solche klar zu deklar­i­eren und nicht in For­men zu über­führen, wo man sie für wahr hält und damit am Ende die Wahrheit für Erfindung.

Denn ger­ade Schrift­steller wis­sen genau, wo sie welch­es Ele­ment der Real­ität adap­tieren, um es für einen lit­er­arischen Text nutzbar zu machen. So wer­den fik­tionale Charak­tere oft aus realen „gemor­pht“. Man nimmt die Optik des einen, den Beruf des anderen, die Pin­geligkeit des drit­ten und legt ihm ein schönes Zitat der Schwiegermut­ter in den Mund. Män­ner schreiben über Frauen, Frauen über Män­ner, Fün­fzigjährige über Kinder, Zeitgenossen über his­torische Fig­uren, Arme über Reiche (oder noch viel Ärmere), Men­schen, die kein­er Fliege etwas zulei­de tun kön­nen, über Mörder. Auch wenn ein Bon­mot behauptet, man solle nur über Dinge schreiben, die man wirk­lich gut ken­nt, ist das kaum durchzuhal­ten, denn dann wür­den Schrift­steller nur über Schrift­steller schreiben.

Man eignet sich zwangsläu­fig fremde Real­itäten an und kann dabei dur­chaus in kri­tis­ches Fahrwass­er ger­at­en. Wer auch immer der Herr war, der die Freuden der min­der­jähri­gen Mutzen­bach­er aus ihrer Per­spek­tive ver­fasste, hat seine Wun­schfan­tasien pro­jiziert. Alexan­dre Dumas beschrieb die Kamelien­dame zwar tragisch, aber doch glam­ourös. Ein wesentlich deprim­ieren­deres Bild der Pros­ti­tu­tion im neun­zehn­ten Jahrhun­dert lässt sich in den weit­ge­hend vergesse­nen Büch­ern von Frauen nach­le­sen: „Der heilige Skarabäus“ von Else Jerusalem oder „Tage­buch ein­er Ver­lore­nen“ von Mar­garethe Böhme.

Auch stellt sich die Frage der kul­turellen Appro­pri­a­tion. Heutzu­tage würde sich wohl nie­mand mehr anmaßen, über die Erfahrung eines Native Amer­i­can zu schreiben, ohne selb­st ein­er zu sein. Wo genau die Gren­zen zu ziehen sind, wird immer wieder neu disku­tiert und muss wohl jed­er Autor für sich entschei­den. So wurde etwa Jef­frey Eugenides nach dem Erscheinen seines Romanes „Mid­dle­sex“ dafür kri­tisiert, dass er sich die Erfahrung ein­er inter­sex­uellen Per­son vorgestellt hatte.

Dabei kann die Zeit die Gren­zen ver­schieben. Mit zunehmender Gle­ich­berech­ti­gung nahm die Diskus­sion ab, ob Män­ner weib­liche Stand­punk­te glaub­würdig darstellen kön­nen. Eben­so wären in den Achtziger­jahren Het­ero-Autoren, die aus der Per­spek­tive schwuler Pro­tag­o­nis­ten schreiben, zumin­d­est frag­würdig gewe­sen, heute regt das kaum jeman­den mehr auf. Nicht nur ist das Fluk­tu­ieren in der sex­uellen Ori­en­tierung leichter gewor­den, die Sit­u­a­tion Homo­sex­ueller in unserem Kul­turkreis hat sich in den let­zten Jahrzehn­ten auch deut­lich entspan­nt. Je trau­ma­tis­ch­er die reale Erfahrung der Betrof­fe­nen, desto prob­lema­tis­ch­er die Appropriation.

 

Ein­er der grundle­gend­sten Unter­schiede zwis­chen Fik­tion und Leben ist, dass im nar­ra­tiv­en Kon­strukt alles einen Sinn hat. Im wahren Leben ver­laufen die Dinge anders. Da hängt vielle­icht im ersten Akt ein Gewehr an der Wand, das nicht spätestens im drit­ten abge­feuert wird. Eine Begeg­nung im Zug treibt die fik­tive Geschichte voran, während sie in der Wirk­lichkeit mit hoher Wahrschein­lichkeit im Sande ver­läuft. Auch der Fak­tor Zeit ver­hält sich anders. Im Roman sind zwei oder zehn oder zwanzig Jahre müh­e­los zu über­sprin­gen. Man kann lei­di­ge Alltäglichkeit­en, wie Putzen oder Auf­sklo­ge­hen, ausklam­mern, muss es sog­ar. Sex im Film geht ganz schnell, er muss ökonomisch sein. Fün­fund­vierzig Minuten Vor­spiel wür­den eine Neun­zig-Minuten-Geschichte spren­gen. Die Leute reißen sich daher meis­tens nach kurzem Kuss die Klei­der vom Leib. Auch ster­ben in einem Buch oder Film die Men­schen nicht wirk­lich. Man braucht nur zurück zum Anfang zu gehen, und sie sind wieder da.

Per­ma­nen­ter Fik­tion­skon­sum birgt die sub­tile Gefahr, dass zwis­chen Real­ität und Erfun­den­em nicht mehr genau unter­schieden wird. Wer zu viele Liebesgeschicht­en gele­sen hat, ist mitunter frus­tri­ert, wenn ihm solche per­fek­ten Wun­der voren­thal­ten wer­den. Wer zu viele Pan­demiefilme gese­hen hat, glaubt vielle­icht nicht mehr, dass so etwas wirk­lich passieren kann – die reale Pan­demie ste­ht dann für ihn auf ein­er Glaub­würdigkeit­sebene mit der Zom­bie-Apoka­lypse. Wer zu viele Überwachungsstaat­dystopi­en kon­sum­iert hat, beschäftigt sich gar nicht mehr mit der Frage, ob eine konkrete Con­tact-Trac­ing-App tat­säch­lich so funk­tion­iert wie in diesen (oder damit, dass keine teu­flis­che Regierung der Welt ihre Bürg­er dazu brin­gen müsste, eine App zu instal­lieren, um auf Bewe­gungs­dat­en zuzu­greifen oder Gespräche abzuhören – das geht näm­lich auch so.)

 

Das nar­ra­tive Kon­strukt hat den Vorteil, dass es in kurz­er Zeit einen Bogen span­nt, eine Hand­lung entwirft, zum Höhep­unkt und zum Ende führt – anders als das wirk­liche Leben, das vom Zufall gebeutelt auf und ab schaukelt. Die bere­ich­ernde, erhebende und manch­mal sog­ar ther­a­peutis­che Qual­ität guter Lit­er­atur beruht ja sog­ar darauf, dass sie in diesem Sinne „bess­er“ als die Wirk­lichkeit ist. Deshalb tut ein Real­itätsab­gle­ich gut, auch beim Lesen, und das ist unter­schiedlich schw­er. Jedem ist klar, dass am Attersee nicht wirk­lich so viele Men­schen ermordet wer­den wie im öster­re­ichis­chen Kri­mi. Aber es gibt in unserem Leben keinen großen Erzäh­ler, der am Ende die Fäden sin­nvoll zusam­men­führt. (Genau dieses zutief­st men­schliche Bedürf­nis nach einem solchen Erzäh­ler, der unser Schick­sal ken­nt und einen Plan für uns hat, begrün­det den Reiz der Reli­gion.) Und so kann das Lesen allzu viel­er Geschicht­en dazu führen, dass man ein biss­chen ent­täuscht ist, dass sich im eige­nen Leben nicht immer alles so fügt.

Für uns Schrift­steller bedeutet das, dass wir in unser­er Arbeit  darauf acht­en müssen, dass die Schnittstellen zwis­chen Erfind­ung und Real­ität sauber bleiben. Wir müssen davon Abstand nehmen, die gestal­ter­ische Macht, die uns durch eine Fik­tion hin­durchträgt, auf andere Bere­iche aus­dehnen zu wollen. Die Frei­heit der Kun­st anzu­rufen, wenn es um fak­tis­che Behaup­tun­gen geht, ist zumin­d­est unlauter. Denn die Wirk­lichkeit umschreiben kön­nen wir nicht.

 


 

Mar­tin Sexl: Warum wir nicht nur Virolo­gie und Epi­demi­olo­gie benöti­gen, um Poli­tik zu machen, son­dern auch Lit­er­atur und Kunst

 

Liebe Anna,

 

Du hast mich vor ger­aumer Zeit gefragt, ob ich anstelle eines State­ments für das Mon­tags­früh­stück im Mai 2020, das nun nicht stat­tfind­en kann, einen schriftlichen Text ver­fassen möchte. Das Schreiben mag ich ja an und für sich lieber als das Reden, aber beim Nach­denken über das The­ma, über den nicht stat­tfind­en­den Vor­mit­tag (mit einem Pub­likum bei Kaf­fee) sowie über die nun ver­passte Begeg­nung mit Bet­ti­na Balà­ka wurde mir bewusst, dass eine lebendi­ge Diskus­sion mit Men­schen, die sich mit ihrem Kör­p­er, einem Lächeln, ein­er gerun­zel­ten Stirn oder dem Aus­druck von Unbe­ha­gen im gle­ichen Raum befind­en, nicht mit ein paar Seit­en Text erset­zt wer­den kön­nen. (Zumal sich zum The­ma des Ver­hält­niss­es von Leben, Werk und Wirk­lichkeit ohne­hin schon hun­derte und tausende Texte find­en lassen, die aller­meis­ten davon von weit berufeneren Autor*innen als ich.)

In den let­zten Wochen der Online-Lehre an der Uni­ver­sität habe ich erfahren müssen, dass eine Debat­te über Lit­er­atur und/oder wichti­gen The­men unser­er Zeit – und Geis­teswis­senschaft beste­ht im Führen, Analysieren und Doku­men­tieren solch­er Debat­ten – die physis­che Präsenz von Men­schen braucht, selb­st in For­mat­en, die, wie Vor­lesun­gen, nicht inter­ak­tiv zu sein scheinen. Inzwis­chen weiß ich, dass sie es sind. Aber gut: Machen wir das Best­mögliche daraus. Dass alles, was Du jet­zt lesen wirst, stark von mein­er per­sön­lichen Sicht geprägt ist, muss ich wohl nicht eigens voranstellen.

Damit die Dis­tanz zwis­chen dem Dia­log und dem Schreiben wenig­stens um einen bemerk­baren Hauch min­imiert wird, habe ich für mein Schreiben die Form eines Briefes gewählt. Ich habe mich ›ein­fach‹ hinge­set­zt und mit dem Schreiben begonnen, ohne Plan (ich ver­fer­tige meine Gedanken beim Schreiben), aber mit ein­er Absicht: mit Dir und Bet­ti­na Balà­ka (und dadurch vielle­icht auch mit dem Pub­likum, das ich mir ger­ade im 10. Stock des Lit­er­aturhaus­es vorstelle) in einen Dia­log zu treten.

Ich möchte einen Aus­tausch zumin­d­est simulieren, und der Begriff Sim­u­la­tion beze­ich­net ja schon eine wichtige Leis­tung viel­er lit­er­arisch­er Texte in ihrem Ver­hält­nis zur so genan­nten Wirk­lichkeit. »Sim­u­la­tio­nen« benötigt man dann, wenn man »Sys­teme« ver­ste­hen will, »die für die the­o­retis­che oder formelmäßige Behand­lung zu kom­plex sind« (so ste­ht es zumin­d­est im entsprechen­den Wikipedia-Artikel). Ein biss­chen pathetisch for­muliert kön­nte man sagen, dass Lit­er­atur mit hochkom­plex­en Sys­te­men, an denen Wis­senschaft und All­t­agsver­stand scheit­ern, zurechtkommen.

Dass die Beziehun­gen zwis­chen der Sim­u­la­tion und dem Simulierten ver­winkelt, manch­mal dunkel, vielfältig, ambiva­lent und niemals ein­fach sind, muss ich Dir gegenüber, denke ich, nicht eigens erwäh­nen. Ich stelle es vor allem in der uni­ver­sitären Lehre fest: Wenn ich etwa mit Studieren­den in einem Sem­i­nar über einen lit­er­arischen Text spreche, dann gehen diese am Ende des Sem­i­nars ja nicht ein­fach raus und sagen sich: »Oh, jet­zt sehe ich die Welt so und so/anders/neu/verkehrt/besser/vollständiger/etc.«, son­dern sie tele­fonieren mit ein­er Fre­undin oder einem Fre­und, rauchen ein Zigarette, denken über den Film vom Abend zuvor im Kino nach, blinzeln in die Sonne, freuen sich auf den Aus­flug auf die Arzler Alm usw. Studierende – wie wir alle – lesen nicht nur, son­dern bewe­gen sich in einem Netz von Bezü­gen, Kom­mu­nika­tio­nen und diskur­siv­en wie nicht-diskur­siv­en Hand­lun­gen, dessen Kom­plex­ität den Glauben, über den Bezug zwis­chen Tex­ten und der Wirk­lichkeit etwas Halt­bares aus­sagen zu kön­nen, wie Hybris erscheinen lässt. Zumal ja so vieles in diesem Netz nicht reflek­tiert, son­dern unter­schwellig und impliz­it wahrgenom­men wird.

Wir dür­fen den Ein­fluss von Lit­er­atur in diesem Bezugssys­tem nicht über­schätzen, aber genau­so wenig soll­ten wir ihn unter­schätzen: Ich bin überzeugt davon, ohne einen stich­halti­gen Beleg dafür anführen zu kön­nen, dass es um unsere Welt schlechter bestellt wäre, wenn wir nicht lit­er­arische Texte hät­ten (und andere Kun­st­for­men etc.) – inklu­sive der hand­festen sozialen (ökonomis­chen und poli­tis­chen) Struk­tur, die uns diese Texte in welch­er Form auch immer zur Ver­fü­gung stellt: Ver­lage, Buch­hand­lun­gen, Jurys, Sub­ven­tio­nen, Preise, Schulen, Lit­er­aturhäuser, Fes­ti­vals, Buchmessen, Kul­turzen­tren, Uni­ver­sitäten etc. Dass alles, was wir als Lit­er­atur beze­ich­nen, aus Prozessen des Kodierens, Dekodierens und Rekodierens (um es ein biss­chen tech­nisch auszu­drück­en) beste­ht, ist, denke ich, ein­sichtig. (Mir fällt ger­ade Christoph Hin­ter­hu­bers Kunst­werk de-decode de-recode re-decode re-recode ein, das Du sich­er kennst und das sich auf der Brücke der alten Hunger­burg­bahn über den Inn befind­et.) Wenn wir von Lit­er­atur sprechen, reden wir also nicht alleine von Büch­ern, die wir in der Hand hal­ten, son­dern von sehr kom­plex­en Vorgän­gen des Ver­ste­hens und Erken­nens, des Missver­ste­hens und Verken­nens, des Kon­stru­ierens und Dekon­stru­ierens. Dass diese Vorgänge sehr viel Zeit brauchen, kann ein Nachteil sein, denn erstens ist Zeit in einem hyper­kap­i­tal­is­tis­chen Sys­tem eine Ware wie alles andere auch und daher einem harten Konkur­ren­zkampf aus­ge­set­zt, und zweit­ens erfahren wir ger­ade eine Zeit, in der sehr schnell gehan­delt wer­den muss. (Dass das Mon­tags­früh­stück »Forum für strate­gis­che Langsamkeit« im Unter­ti­tel trägt, ist kein Zufall.)

Eine erste Ein­schränkung sei vor­weg gle­ich for­muliert: Wenn hier von Lit­er­atur die Rede ist, dann kann natür­lich nicht alles gemeint sein, was unter diesem Begriff pro­duziert, rezip­iert, ver­mit­telt, benan­nt, besprochen, bewor­ben, verkauft, kat­a­l­o­gisiert, analysiert, ver­dammt, be- und verurteilt oder gesam­melt, also ganz ein­fach behan­delt wird. Ein futur­is­tis­ches Gedicht ›funk­tion­iert‹ ja völ­lig anders als ein nat­u­ral­is­tis­ch­er Roman, und zwis­chen dem, was uns irgen­dein Text und ein­er der großen rus­sis­chen oder franzö­sis­chen Romane des 19. Jahrhun­derts sagt, haben sehr viele Missver­ständ­nisse Platz. Reden kann man daher eigentlich nur über beispiel­hafte Einzelfälle – und das werde ich weit­er unten auch tun –, wom­it wir genau genom­men schon bei ein­er zweit­en großen Leis­tung von vie­len lit­er­arischen Tex­ten ange­langt sind: Sie ›schildern‹ in der Regel nicht die Wirk­lichkeit schlechthin, was auch immer das über­haupt sein kön­nte, son­dern die Wirk­lichkeit von Emma Bovary, König Lear oder Ilja Iljitsch Oblo­mow. Das Wort »schildern« ist natür­lich eine Krücke, aber nichts Anderes sind alle weit­eren Begriffe, die eine Antwort auf die Frage geben wollen, was lit­er­arische Texte eigentlich tun und was sie mit uns anstellen: zeigen, darstellen, repräsen­tieren, vertreten, appel­lieren, erk­lären, kon­stru­ieren, sagen, rühren, irri­tieren, des­ori­en­tieren, unter­hal­ten, informieren, schock­ieren, aufrüt­teln, ein­lullen, vernebeln, her­aus­fordern, in Frage stellen, kritisieren …

Vor einem Missver­ständ­nis sei gle­ich gewarnt: Diese Wirk­lichkeit, die uns in einem ganz konkreten lit­er­arischen Einzelfall begeg­net, ist beileibe nicht indi­vidu­ell, son­dern sie ist exem­plar­isch. Sie ste­ht für etwas All­ge­meineres. Daher sind lit­er­arische Texte let­ztlich poli­tisch, aber in ihrer Konzen­tra­tion auf das Konkrete und das Einzelne unide­ol­o­gisch. Du wirst mir ent­geg­nen: »Und was ist mit all den umstrit­te­nen Autor*innen, die mehr oder weniger scham­los und sehr oft dog­ma­tisch Ide­olo­gien vertreten haben?« Ich habe von Tex­ten gesprochen, aber Du hast natür­lich recht: Man kann diese niemals ohne ihren Kon­text betra­cht­en. Und das heißt natür­lich, dass man die Aus­sagen und das Han­deln ihrer Urheber*innen nicht außer Acht lassen darf.

Aber der Kon­text geht weit über Texte und ihre Autor*innen hin­aus, denn man darf nicht vergessen, dass nicht nur die Texte und ihre Urheber*innen für das zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den müssen, was man ganz generell die Bedeu­tung der Lit­er­atur nen­nen kön­nte. Auch die Leser*innen, die Medi­en, das Nobel­preiskomi­tee in Schwe­den, Jurys, Lit­er­aturhäuser, Studierende, Eltern von Kindern, die Poli­tik, die Wirtschaft, Ver­lage, der Buch­han­del etc. Es hil­ft nichts: Wenn wir die Frage nach dem Wirk­lichen (und damit auch dem Poli­tis­chen) in der Lit­er­atur stellen, dann müssen wir sehr weit aus­holen und eine tief­greifende Diskus­sion nicht scheuen. In Abwand­lung ein­er Pas­sage aus Zadie Smiths Buch Frei­heit­en, das Du mir dankenswert­er­weise für die Vor­bere­itung auf das Mon­tags­früh­stück emp­fohlen hast, müsste man sagen: Raus (aus dem Text) oder tiefer rein (in die Diskus­sion)! Dass wir, wenn wir tiefer ›reinge­hen‹, keine ein­deuti­gen Antworten find­en wer­den, und schon gar keine ein­fachen, ist klar – auch wenn wir so gerne Klarheit hät­ten. (»Hat er nun den Nobel­preis zurecht bekom­men oder nicht?!?«) Das Nach­denken über den Kon­text bedarf auch der Reflex­ion des eige­nen Stand­punk­ts in einem nahezu wörtlichen Sinne: Von wo aus spreche ich? Zu wem spreche ich? Mit wem spreche ich? Wer kann mich hören? Ver­ste­hen? Wer bezahlt die Kosten, die das Sprechen und Sprechen-Kön­nen verur­sacht? – ich kön­nte noch hun­derte Fra­gen anführen.

»Tiefer rein in die Diskus­sion« bedeutet, Wis­sen zu gener­ieren. Und dieses Wis­sen prägt den Ein­druck, den man von einem Buch hat. ›Unschuldige‹ Lek­türen gibt es nicht. Man kann es meines Eracht­ens auch noch deut­lich­er for­mulieren: Die Bedeu­tung eines Textes wird durch das Wis­sen, das man sich über Texte und ihre Autor*innen aneignet, geprägt. Es ist heute ohne­hin nahezu unmöglich gewor­den, nichts über die Autor*innen von Büch­ern zu wis­sen, so sehr sind wir ihrer Medi­al­isierung aus­ge­set­zt. Bevor Du, liebe Anna, heute ein Buch kauf­st, hast Du ja wahrschein­lich schon zehn Wer­beein­schal­tun­gen, zwei Berichte der Frank­furter Buchmesse und die Home­page der Autorin oder des Autors gese­hen und gele­sen, vor allem Du als Lei­t­erin eines Lit­er­aturhaus­es. Für mich gilt ja Ähn­lich­es. Wir bei­de zählen berufs­be­d­ingt zur Gruppe pro­fes­sioneller Leser*innen, wobei uns immer klar sein muss, dass wir Kanones bilden, ständig: Wenn Du eine Autorin oder einen Autor ein­lädst, dann hast Du zehn andere nicht ein­ge­laden. Und wenn ich in einem Sem­i­nar zehn Büch­er vorschlage, dann habe ich tausend andere eben nicht vorgeschla­gen. Unsere Entschei­dun­gen betr­e­f­fen andere Men­schen, etwa das Pub­likum im Lit­er­aturhaus oder Studierende in meinen Lehrver­anstal­tun­gen. Die Studieren­den sind irgend­wann Ex-Studierende und arbeit­en in Ver­la­gen, Buch­hand­lun­gen oder Kul­turzen­tren, wo sie ihrer­seits wieder bes­timmte Entschei­dun­gen tre­f­fen und tre­f­fen müssen, die vielle­icht von dem bes­timmt sind, was sie einst erfahren haben. Und wenn sie vielle­icht irgend­wann Kinder bekom­men und ihnen Geschicht­en vor­lesen, wer­den ihnen diese von Buchhändler*innen emp­fohlen usw.

Aber zurück zum The­ma der Sim­u­la­tion: Die Wirk­lichkeit ist viel zu kom­plex (was wir im Moment ja ein­drucksvoll erleben), um sie alleine mit natur­wis­senschaftlichen Mit­teln oder mit denen des All­t­agsver­standes durch­drin­gen zu kön­nen. Wir müssen sie vielmehr als Mod­ell nach­bauen, eben simulieren. Und gute Schriftsteller*innen tun oft genau das, sie bauen hochkom­plexe Mod­elle ein­er ganz bes­timmten Wirk­lichkeit, manch­mal sog­ar im Maßstab 1:1. Diese durch­querend und durch­wan­dernd bekom­men Leser*innen nicht nur einen Ein­blick in die All­t­ags- und Lebenswirk­lichkeit­en der Protagonist*innen, son­dern auch in die sozialen, ökonomis­chen, poli­tis­chen und kul­turellen Bedin­gun­gen und Struk­turen, durch die diese Wirk­lichkeit­en deter­miniert werden.

Leser*innen bekom­men dabei auch eine Sprache für ihre eige­nen Erfahrun­gen und Erleb­nisse: Wer einen Roman liest, der bewegt sich in ein­er Welt von Analo­gien, Beispie­len und Meta­phern, die dem eige­nen Leben eine Art Spiegel oder Reflex­ions­folie bieten. Darum erleben wir ödi­pale Kon­flik­te, fühlen uns in ein­er kafkaesken Sit­u­a­tion (zurzeit wahrschein­lich ganz beson­ders), kom­mandieren zu Hause unsere Kinder herum wie King Lear oder fühlen uns einges­per­rt in unaus­gelebten (und im Augen­blick auch nicht ausleb­baren) Tagträu­men wie Madame Bovary.

Die Mod­elle der Schriftsteller*innen leis­ten sog­ar noch mehr: Es sind oft auch Mod­elle des Denkens und Füh­lens, also eine Art Sim­u­la­tion kog­ni­tiv­er Prozesse, die auf der Ober­fläche immer als Zeichen sicht­bar wer­den, die wir entschlüs­seln kön­nen und entschlüs­seln müssen. Die Bedeu­tung dieser Zeichen­wel­ten liegt, wie schon gesagt, nicht in der Hand ihrer Urheber*innen, aber auch nicht in jen­er der Leser*innen. Nie­mand hat die Bedeu­tung der Sprache gepachtet, aber jede Aus­sage, jedes Gedicht und jede Zeile ein­er Erzäh­lung hält die Sprache nicht nur am Leben, son­dern verän­dert sie unmerk­lich. Wir ver­fer­ti­gen unsere Wirk­lichkeit beim Sprechen und beim Han­deln. Du wirst ein­wen­den, dass Mod­elle immer Reduk­tio­nen darstellen. Zadie Smith würde darauf vielle­icht antworten (auch wenn das nicht ganz so ein­fach ist, wie es klingt): »Lit­er­atur reduziert Men­schen, schlechte Lit­er­atur allerd­ings mehr als gute, und wir kön­nen uns immer entschei­den, gute Lit­er­atur zu lesen« (Frei­heit­en, S. 82).

Wer nun aber meint, dass Sim­u­la­tio­nen Beste­hen­des (mehr oder weniger reduzierend) ein­fach nur mod­el­lieren, ver­gisst die dritte große Leis­tung viel­er lit­er­arisch­er Texte: Es sind Erfind­un­gen, fik­tionale Pro­duk­te. Im Englis­chen würde man vielle­icht sagen: Sie sind imag­ined, etwas Imag­iniertes, Vorgestelltes, vor uns Hingestelltes, selb­st dann, wenn man in einem Roman fak­tis­che Ereignisse oder his­torisch ver­bürgte Per­so­n­en find­et. Dir muss ich das nicht genauer dar­legen, denn Du bist ja selb­st auch Schrift­stel­lerin und, vor allem, Leserin. Und als solche weißt Du natür­lich ganz genau, dass die Mod­elle, die Du ver­fer­tigst, nicht die Wirk­lichkeit nach­bilden, son­dern dass wir Wirk­lichkeit Mod­ellen fol­gend kon­stru­ieren. Dies Kon­struk­tion begin­nt in der früh­esten Kind­heit (wenn uns Geschicht­en vorge­le­sen wer­den) und hört let­ztlich nie auf. Ein Liebesro­man bildet ja nicht das ab, was ich als Leser füh­le, son­dern entwick­elt ein Mod­ell, das meinem Fühlen eine Sprache und vielle­icht auch Ori­en­tierung bietet. Was mir noch viel wichtiger erscheint: Ein lit­er­arisch­er Text kann mich des­ori­en­tieren. Und nur, wer des­ori­en­tiert und irri­tiert wird, kann aus Rou­ti­nen aus­brechen und die Kontin­genz unseres sozialen Han­dels – das uns viel zu oft als selb­stver­ständlich oder gar als natür­lich erscheint – erken­nen. So habe ich Bertolt Brechts epis­ches The­ater und das Wirken ›seines‹ berühmten Ver­frem­dungs-Effek­ts immer ver­standen. Im aris­totelis­chen, ›alten‹ The­ater (und auch in vie­len Roma­nen, würde ich hinzufü­gen) wird uns, so Brecht im Kleinen Organon für das The­ater, eine Welt vorge­führt, die »nicht als bee­in­flußbar durch die Gesellschaft (im Zuschauer­raum)« gezeigt wird, die also »den gesellschaftlich bee­in­flußbaren Vorgän­gen den Stem­pel des Ver­traut­en« auf­drückt. Wenn etwas ver­traut erscheint, dann hal­ten wir es für evi­dent und ein­leuch­t­end: Das »lange nicht Geän­derte näm­lich scheint unän­der­bar«, meint Brecht. Der V‑Effekt nun soll das Pub­likum dazu brin­gen, das Gese­hene und Gele­sene als geschichtlich ent­standen und als verän­der­bar wahrzunehmen. Für mich ganz per­sön­lich würde ich sagen, dass gute Lit­er­atur immer etwas Ver­frem­den­des hat oder vielle­icht sog­ar haben muss.

Lit­er­arische Texte geben unserem Denken eine Form, kon­tex­tu­al­isieren es dadurch und kön­nen dabei zeigen, dass alles, was wir denken, und all unsere For­men zu leben etwas geschichtlich Ent­standenes sind. Das mächtig­ste Instru­ment, das Schriftsteller*innen zur Ver­fü­gung ste­ht, ist ihre Kom­pe­tenz und ihr Wille (und alles, was man dazu braucht: Tal­ent, Übung, Zeit, Geld, Kraft etc.), Sprache zu for­men. Und je nach­dem, wie sie das tun, wird auch unsere Wirk­lichkeit ausse­hen. Der ›Inhalt‹ eines Textes – auch wenn die Unter­schei­dung zwis­chen Inhalt und Form immer nur eine ana­lytis­che und vor­läu­fige sein kann – ist sel­ten entschei­dend. (Anstelle des Begriffes Inhalt ist vielle­icht jen­er des Mate­ri­als geeigneter, aber ich denke, Du weißt, was ich meine.) Viel zen­traler sind all die Mit­tel, die bei der For­mung von Gedanken zum Ein­satz kom­men: von Alle­gorien, Allit­er­a­tio­nen, Ana­phern und Asso­nanzen über Meta­phern, Metonymien, Mon­ta­gen und Motiv­en bis hin zu Zeilen­sprün­gen, Zeug­ma­ta und Zwis­chen­reimen. Wie bewusst Autor*innen mit diesem Werkzeugkas­ten umge­hen, weiß ich nicht. Es erscheint mir nicht entschei­dend: Ein guter Pianist kann Dir ja auch nicht sagen, was er genau mit seinen Hän­den macht. Inter­es­sant ist jedoch – den Gedanken habe ich auch von Zadie Smith geklaut (aber er trifft ganz meine Erfahrung als manch­mal naiv­er, manch­mal pro­fes­sioneller Leser) –, dass sich Leser*innen meist auf Inhalte konzen­tri­eren, während Schriftsteller*innen und pro­fes­sionelle Interpret*innen eine gewisse Formbe­sessen­heit an den Tag leg­en. Für ›Alltags-Leser*innen‹ ist Das Erd­beben von Chili von Hein­rich von Kleist eine Geschichte über eine Naturkatas­tro­phe und ihre selt­samen und schreck­lichen Fol­gen. Pro­fes­sionelle Interpret*innen kön­nen tage­lang über die Rolle des Kon­junk­tivs in dieser Nov­el­le nachdenken.

Damit Lit­er­atur Wirkung ent­fal­ten kann, braucht es deren Autonomie, in meinen Augen eine der größten Errun­gen­schaften des 18. Jahrhun­derts, wobei Dir und mir klar ist, dass sie immer ein zweis­chnei­di­ges Schw­ert war und ist: Ohne Autonomie gibt es zwar keine Frei­heit der Lit­er­atur, aber gle­ichzeit­ig kann diese auch als Argu­ment dienen, die Kraft lit­er­arisch­er Texte im Bel­letris­tik-Pro­gramm von Ver­la­gen, in Lit­er­aturhäusern, Uni­ver­sitätssem­inaren oder The­ater­spiel­stät­ten zu neu­tral­isieren. Noch ein­mal anders gefasst: Ohne klare Gren­ze zwis­chen Poli­tik, Wirtschaft, Reli­gion und Kul­tur auf der einen Seite und Kun­st und Lit­er­atur auf der anderen dro­hen let­ztere immer vere­in­nahmt zu wer­den. Gle­ichzeit­ig gilt diese Gren­ze vie­len aber auch als Argu­ment dafür, Kri­tik aus­lagern und im Reser­vat der Kun­st und der Lit­er­atur einsper­ren zu kön­nen. »Tobt euch dort aus, ihr Chaoten! Dort dürft ihr es, und wir bezahlen euch sog­ar noch dafür.« Auf jeden Fall hat erst die Autonomisierung der Lit­er­atur dazu geführt, dass lit­er­arische Texte für alles Mögliche ver­wen­det wer­den kön­nen und wer­den, sei es für Iden­ti­fika­tion, Ide­al­isierung, Analyse, Kri­tik, Unter­hal­tung, Bestä­ti­gung, Belehrung, Affir­ma­tion, Vertre­tung und vieles andere mehr. Mit anderen Worten: Durch die Autonomie kommt Poly­valenz ins Spiel, und nur die erlaubt es uns, unter­schiedliche Hand­lungs­for­men durchzu­denken und durchzudiskutieren.

Lit­er­arische Texte erlauben es uns, anderen zuzuschauen und sie dabei zu beobacht­en, wie sie unter ganz bes­timmten Bedin­gun­gen leben und han­deln – und dies in einem gefahrlosen Raum, im Spiel. Spiele kön­nen etwas sehr Ern­sthaftes sein, wie Du weißt, aber sie fall­en zum Glück nicht (oder nur sehr sel­ten) mit dem Ern­st­fall zusam­men. Wenn ich im The­ater oder im Kino sitze (und für das Lesen gilt im Grunde das Gle­iche), dann kann ich zuschauen, und empfinde sog­ar noch Genuss dabei, wenn sich auf der Bühne oder der Film­lein­wand Men­schen gegen­seit­ig quälen und umbrin­gen. Und ich muss ihnen nicht zu Hil­fe eilen und auch nicht die Polizei rufen – es agieren Schauspieler*innen, und die tun nur so als ob. Dass das extrem inten­siv sein kann, hast Du wohl eben­so erfahren wie ich.

 

Du hast mich in ein­er Dein­er let­zten Mails gefragt, »inwieweit und in welch­er Form Autor*innen in ihren Tex­ten per­sön­liche und gesellschaftliche Real­itäten zu lit­er­arisch­er Fik­tion ›trans­formieren‹«. Eine mögliche Antwort kann uns Das Erd­beben in Chili von Hein­rich von Kleist geben, ein Text, den ich mit Studieren­den sei Jahren immer wieder lese und der bis heute nichts an Aktu­al­ität ver­loren hat. In der Coro­na-Krise löst diese Nov­el­le zwar kein gegen­wär­tiges Prob­lem, weist aber mit großer Ein­drück­lichkeit in die Zukun­ft (wenn auch in eine, die lieber nicht ein­treten sollte). Man kann es auch all­ge­mein­er fassen: Lit­er­atur macht Ver­gan­gen­heit ver­füg­bar, damit wir Zukun­ft mod­el­lieren und simulieren können.

Bekan­ntlich geht es um die Beziehung zwis­chen Josephe und Jeron­i­mo, die nicht standes­gemäß ist. Josephe wird schwanger und daraufhin zum Tode verurteilt, Jeron­i­mo lan­det im Gefäng­nis. Als er dort ger­ade aus Verzwei­flung Selb­st­mord bege­hen will, während Josephe zum Hin­rich­tungsplatz geführt wird, zer­stört ein gewaltiges Erd­beben Gebäude und Insti­tu­tio­nen, und Josephe und Jeron­i­mo kom­men durch Zufall frei. Außer­halb der Stadt tre­f­fen sie sich wieder und leben dort mit vie­len anderen Über­leben­den in ein­er Art Paradies. Im Glauben, in der Stadt nach diesem ver­heeren­den Unglück und unter neuen Bedin­gun­gen Gnade und Beg­nadi­gung find­en zu kön­nen, kehren sie zurück, wer­den aber in einem Gottes­di­enst erkan­nt und vor der Kirche von einem Lynch­mob erschla­gen, Jeron­i­mo von seinem eige­nen Vater, Josephe vom Schus­ter Meis­ter Pedrillo, der sie seit ihren Kind­heit­sta­gen kannte.

Kleist trans­formiert, wenn man so will, die Debat­ten über das Theodizee-Prob­lem, über das ver­heerende Erd­beben von Liss­abon von 1755, über die Franzö­sis­che Rev­o­lu­tion und über die Napoelonis­chen Kriege in lit­er­arische Fik­tion, in dem er erfun­dene Per­so­n­en, die im 17. Jahrhun­dert in San­ti­a­go de Chile leben, jene Kon­flik­te ausagieren lässt, die aus der Zer­störung gesellschaftlich­er Ord­nun­gen resul­tieren. Diese Ord­nun­gen haben immer zwei Seit­en: Sie sind Zwang und Ermöglichung gle­icher­maßen. Aber Kleist trans­formiert nicht nur seine eigene Welt in eine lit­er­arische Fik­tion, son­dern Möglichkeit­en unser­er Wirk­lichkeit, also unser­er eige­nen Zukun­ft, wenn Du so willst. Denk an die Bek­lem­mungen und rigi­den Ein­schränkun­gen, die wir zurzeit auf­grund des Coro­n­avirus (auch eine Form Naturkatas­tro­phe) erlei­den: Auch diese sind Zwang und Ermöglichung: Sie schränken unsere Frei­heit mas­siv ein und ret­ten dabei Men­schen­leben. Und weil wir nicht sich­er wis­sen kön­nen, welche Kon­se­quen­zen das haben wird, müssen wir im gegen­wär­ti­gen Tun ständig unsere eigene Zukun­ft mod­el­lieren. Die Lek­türe und Diskus­sion von lit­er­arischen Tex­ten, die, wie schon gesagt, Mod­elle darstellen, helfen uns bei dieser ›prog­nos­tis­chen Arbeit‹. Virolog*innen, Epidemiolog*innen und Ökonom*innen kön­nen uns sagen, was wahrschein­lich mit unser­er Gesund­heit und mit der Wirtschaft passieren wird, wenn wir dieses und jenes tun oder unter­lassen – und Poli­tik wie Gesellschaft müssen daraus Hand­lungsan­leitun­gen entwick­eln. Aber sie kön­nen uns eben­so wenig wie Politiker*innen sagen, welche wahrschein­lichen (oder auch unwahrschein­lichen) Kon­se­quen­zen dies auf den zukün­fti­gen Zus­tand unser­er Gesellschaften haben wird. Wir ste­hen heute in dieser Coro­na-Krise ganz am Anfang der Kleistschen Nov­el­le und wis­sen noch nicht, wie wir einen Weg find­en wer­den, der dauer­hafte staatliche Repres­sio­nen auf der einen Seite und sozial­dar­win­is­tis­che Zustände auf anderen ver­mei­det – bei­des find­et sich im Erd­beben – und eine Gesellschaft ermöglicht, in der die Frei­heit des Einzel­nen garantiert wer­den kann. Große Worte? Mag sein. Aber es ste­ht auch einiges auf dem Spiel. Und weil viel auf dem Spiel ste­ht, benöti­gen wir Texte, die uns nicht nur an den eige­nen Dog­men und Ide­olo­gien zweifeln lassen – und damit ist ganz dezi­diert nicht der Zweifel an Fak­ten gemeint –, son­dern auch das in Frage stellen, was wir gemein­hin als natür­lich oder zumin­d­est als mehr oder weniger selb­stver­ständlich wahrnehmen, näm­lich Dinge wie Geschlecht, Eigen­tum und Besitz, Klassen­ver­hält­nisse, Eth­niz­ität, Iden­tität, Fam­i­lien­ver­hält­nisse, Wirtschafts­for­men, Biolo­gie usw.

Dass Naturkatas­tro­phen und ihre Kon­se­quen­zen nicht alle Men­schen gle­icher­maßen betr­e­f­fen, macht Kleist deut­lich. Wun­der­bar deut­lich wird es aber auch im Roman Die Tauben von Brünn von Bet­ti­na Balà­ka (die ich sehr gerne per­sön­lich ken­nen gel­ernt hätte). Das Buch ist hock­ak­tuell, auch wenn seine Hand­lung im 19. Jahrhun­dert ange­siedelt ist. Es macht näm­lich ein paar wichtige Dinge mit großer Ein­drück­lichkeit bewusst, wobei dieses Bewusst­sein  in der Coro­na-Krise vielle­icht nicht direkt hil­ft, uns aber sehr wohl dabei helfen kann, in Zukun­ft für eine gerechtere Ord­nung einzutreten. Zwei dieser Dinge möchte ich nen­nen: (1) Ein Virus (im Buch ist es die Tuberku­lose) trifft die Besit­zlosen weit härter und direk­ter und sehr viel häu­figer als die Besitzen­den (wobei mit Besitz vieles gemeint ist: Geld, Macht, Bil­dung, Platz, Pri­vatheit, medi­zinis­che Ver­sorgung, Ressourcen aller Art etc.); (2) Aber­glaube (heute würde man vielle­icht noch anhän­gen: Halb­wis­sen, fake news, Ver­schwörungs­the­o­rien etc.) ist nicht nur hochge­fährlich, son­dern kann auch ein Instru­ment der Besitzen­den zur Knebelung und Vernebelung der Besit­zlosen sein, das man zudem auch noch zu Geld machen kann.

Ich mache mir allerd­ings wenig Hoff­nung, dass Lit­er­atur den Lauf der Welt entschei­dend zum Pos­i­tiv­en hin bee­in­flussen kann. Würde ich diese Hoff­nung aber ganz und gar aufgeben, dann müsste ich meinen Beruf wohl an den Nagel hän­gen oder zum Zyniker wer­den. Darum schließe ich mit der Aus­sage eines Fre­un­des (eines emer­i­tierten Uni­ver­sität­spro­fes­sors, der sich Zeit seines Lebens mit so ziem­lich allen Schreck­nis­sen, die Gesellschaften her­vorge­bracht haben und her­vor­brin­gen, auseinan­derge­set­zt hat und es immer noch tut), der sin­ngemäß ein­mal sagte: Es gibt wenig Grund, opti­mistisch zu sein, was unsere Zukun­ft bet­rifft; aber es ist ger­ade deshalb eine moralis­che Verpflich­tung, opti­mistisch zu sein. Ich glaube, ich schließe jet­zt bess­er, bevor ich noch pathetisch werde, und gehe mal Can­dide und Der Mythos von Sisyphos in meinem Bücher­re­gal suchen.

 

Auf Deine Antwort und die Fort­führung unseres Gesprächs (in welch­er Form auch immer) freut sich

 

Dein Mar­tin


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Robert Pross­er Jour­nal aus Beirut 

01. — 07. April
Petra Maria Kraxn­er Fik­tionales Jour­nal aus Berlin: Ver­wende deine Zukunft

15. — 21. April
Hans Platzgumer, Jour­nal

30. April — 6. Mai
Isabel­la Feimer, Journal